Es geht dann auch anders
Für mich steht es fest: Es geht auch anders. Eine Pandemie kann gute Lehre nicht aufhalten, erfordert aber flexibles Handeln, vor allem dann, wenn es um internationale Veranstaltungen der htw saar geht.
Mit Ausbruch der Pandemie erschien die Teilnahme an einer Vorlesung in der Norwegian University of Science and Technology nach vielen Jahren plötzlich nicht mehr machbar. Die Reisewege nach Norwegen waren auf einmal unterbrochen. Aber die Kollegen aus Norwegen reagierten prompt. Ich erhielt einen Anruf, dass man eine Plattform aufbauen werde, um über das Internet Vorlesung halten zu können. Die Studierenden können so von zu Hause aus teilnehmen, der Vorlesungsraum ist das weltweite Netzwerk.
Was im digitalen Zeitalter möglich ist, war für mich doch eine Herausforderung. Ich weiß, wie entscheidend der Kontakt zu meinen Hörern, unseren Studierenden ist. Über das weltweite Netzwerk, so erwartete ich, würde die Kommunikation und Interaktion eingeschränkt sein. Ich sehe die Hörer nicht und wie sollten auch die Bilder vieler Hörer auf einen kleinen Bildschirm übertragen werden? Mir fehlt die Tafel, auf der ich Details und Zusammenhänge verdeutlichen kann. Wie kann ich erkennen, dass ich mich verständlich ausdrücke? Was muss ich also tun, um trotzdem gute Lehre anzubieten, die es den Studierenden ermöglicht, Wissen zu vertiefen? In jedem Fall musste ich neue Bilder erarbeiten, die digital projiziert werden können und über die Information hinaus auch Kreide und Schwamm ersetzen. Das ist eine Aufgabe, die Zeit braucht, die prächtig in das Heimbüro passt, in dem wir uns alle zurzeit befinden.
Nachdem ich die Unterlagen fertiggestellt hatte, wurde es noch einmal richtig spannend. Passt das Datenformat für die Übertragung, ist die eigene Verbindung in das weltweite Netz ausreichend? Der Test erfolgte mit einer Kollegin der Universität in Trondheim, die mir, dem Unerfahrenen, dem Greenhorn, mit Geduld erklärte, wie mein neuer Overheadprojektor funktioniert, wo Schwamm und Kreide digital auf meinem Bildschirm verankert sind. Ich lernte, die Chat-Funktion zu nutzen und wusste von nun an, dass die Studierenden mich ansprechen können. In kürzester Zeit entstand, 2000 Kilometer entfernt, für mich ein digitaler Hörsaal.
Dann kommt die erste Vorlesungsstunde. Man sitzt vor dem Bildschirm und langsam füllt sich der digitale Hörsaal. Man hört keine Hörsaaltür, häufigeres Piepen im Kopfhörer und viele kleine Fenster poppen auf dem Bildschirm auf, die das Eintreten der Studierenden anzeigen. Nach und nach treffen 58 Studierende im Hörraum ein. Ich wünsche im Chatraum „Good Morning“ und bekomme Antwort. Kommunikation ist also möglich.
Aber wann fange ich an? Ich sitze vor einem Bildschirm, rechts im Fenster meine Präsentation, in der Mitte ein leeres, schwarzes Fenster, unten in der Bildschirmleiste ein kleines Videobild von mir, eine Anzeige der Anzahl der Teilnehmer und die Anzahl der Meldungen im Chat. Dort finde ich auch Schalter, um das Mikrofon und das Videobild ein- oder auszuschalten. Mit einem anderen Schalter kann ich meinen Arm heben, um auf mich aufmerksam zu machen. Dann kommt die Stimme der Moderatorin aus dem „off“. Doktor Kari Attramadal – wir kennen uns seit vielen Jahren – begrüßt die Studierenden und stellt mich kurz vor. Jetzt bin ich dran.
Also das erste Bild der Präsentation in die Mitte des schwarzen Fensters ziehen und los geht’s: „Good morning everybody! My name is Uwe Waller. I am a Professor at the university of Applied Sciences in Saarbrücken. Saarbrücken is in the Southwest of Germany where I am working with engineers on the biotechnology of recirculating aquaculture systems. I am invited to explain my concept and understanding of this emerging biotechnology. …“
Die erste Stunde ist schwierig, weil man in die Leere redet, aber weiß, dass 58 Studierende in ihren Räumen die Vorlesung verfolgen. Es gibt keine sichtbare Rückmeldung, wir alle gewöhnen uns offensichtlich an eine neue Situation. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass ich diese Vorlesung halte. Sie ist umfangreich und in den letzten Tagen und buchstäblich auch Nächten überarbeitet worden. Es läuft gut, bis die Moderatorin mich fragt, ob wir nicht eine Pause machen könnten. Das macht sie immer, sie kennt mich und sie weiß, dass ich bei meinem Thema einfache Notwendigkeiten vergesse. Also zehn Minuten Pause, ich hole mir einen Kaffee, ganz ungewohnt, frisch gemacht aus unserer Küche. Meine Frau fragt: „Na, wie läuft’s?“. Ich antworte: „Ich denke gut, bisher sind alle geblieben. Das kann ich am Zähler im Bildschirm erkennen“.
Die nächste Stunde beginnt und nach kurzer Zeit hebt sich eine Hand auf dem Bildschirm. Ein Teilnehmer fragt nach, bittet um einen Kommentar zu einem Problem, das er kurz beschreibt. Das bin ich gewohnt und das hilft, eine Vorlesung lebendiger zu machen. Ich antworte ihm direkt und weise freundlich daraufhin, dass ich dazu später noch im Detail eingehen werde. „Thank you“, kommt es aus meinem Ohrhörer. Ich freue mich, dass da jemand war. Von jetzt an hebt sich häufiger die eine oder andere Hand, manche schreiben ihre Frage, manchen benutzen ihr Mikrofon. Das hilft. Ich habe jetzt das Gefühl, dass meine Vorlesung ankommt, dass die Teilnehmer interessiert zuhören.
Am Ende erhalte ich dann Rückmeldung in Form von winkenden und klatschenden Händen, der eine oder andere Studierende schreibt kurz eine nette Nachricht. Das ist schön und es freut mich, dass ich auch über das Internet schwierigere Inhalte gut kommunizieren konnte.
Vorlesung über das Internet ist also möglich, für beide Seiten, den Hochschullehrer und den Studierenden, eine machbare Herausforderung. Trotzdem wird das Internet nicht unsere Vorlesungsräume in der Hochschule ersetzen, in denen wir komplexe Inhalte erklären und vertiefen. Es fehlt mir doch der Blick in die Gesichter, der mir sagt, dass man noch einmal präziser werden muss, damit auch die Augen der Studierenden Zustimmung signalisieren. Gerade zu Beginn des Studiums ist die Verantwortung für die Studierenden hoch, die sich in das Studium, also in eine für sie neue, selbstbestimmte, Lehr- und Lernform einfinden müssen. Das fordert beide Seiten und überfordert dann doch das weltweite Netzwerk.
Außergewöhnliche Zeiten erfordern ein Umdenken, neue Maßnahmen. Und, das war wichtig, um zu beginnen, für die Zukunft eine gute, erfolgversprechende Mischung aus beidem zu entwickeln. Und das ist wichtig, um Internationalisierung an Hochschulen in der Zeit des fortschreitenden Klimawandels, und nicht nur während einer Pandemie, nachhaltig zu entwickeln und zu gestalten. Ich habe gelernt, dass es nicht nur dann auch anders geht.
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