Rosen oder Rosmarin? Küche oder Karriere?
Kinder, Küche, Körper, Karriere: Die vielen K der Frau – Wer oder was bestimmt die Weiblichkeit?
Mit diesem Titel lud das Team der Gleichstellung am 8. März 2022, anlässlich des Internationalen Frauentags mit seinem diesjährigen Motto „Der Wandel ist weiblich“ zu einem Mini-Barcamp ein. Das Barcamp, im Online-Format, als Erfolgstool für synchrone und authentisch wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe, welches wir im Sommersemester 2021 kennen und schätzen lernten. Als für ein paar Stunden aus Prof. Dr.-Ing. Leonhard Dieter wurde und wir uns alle als Menschen begegnet sind. Chefin oder Chef, Professorin oder Professor zählte nicht, Hierarchien gab es keine, es zählte der Mensch, das DU und das WIR. Diese Stimmung wollten wir nochmal abbilden, weil wir erkennen durften, wie wertvoll der Ertrag daraus ist (siehe Ringvorlesung).
Kinder, Küche, Körper, Karriere! „Über viele Dekaden hinweg beschrieb diese Alliteration den Platz der Frau in der deutschen Gesellschaft. Die gängige Meinung: Die Frau sollte sich in erster Linie um die Erziehung des Nachwuchses kümmern. Als „Rabenmütter“ wurden schnell diejenigen berufstätigen (!) Frauen bezeichnet, die sich lieber um Karriere, als um ihre Kinder kümmern“, hieß es in unserer Einladung, „Glücklicherweise hat sich dieses Bild stark gewandelt!“ Hat es das tatsächlich?
Welche Rollenbilder haben wir von Familie? Warum sitzen sowenig Väter in Elternabenden der Grundschule? An den Abenden einer weiterführenden Schule, wo es um die ‚harten Fakten‘ geht, aber einige mehr? Gibt es auch Mütter, die sich diesen Rollen obligatorisch ‚abwenden‘ und ist das dann, weil sie emanzipierte Frauen sind, legitimiert?
Warum trauen wir Frauen keine kriminellen Handlungen zu und empfinden einen direkten verbalen Schlagabtausch als übergriffig? Würden Männer ihre Konflikte mit männlichen Kollegen anders austragen und gleichzeitig wertschätzend agieren? Wie wird Gleichstellung verstanden?
Ob im direkten Austausch während der Veranstaltung oder als ‚Rahmenprogramm‘ in den Tagen davor und danach; ob in Form einer E-Mail, eines Anrufs oder eines Flurgesprächs. Die 4K der Frau haben aktiviert. Wir haben uns getraut über Dinge zu sprechen, die wir im Alltag zurückhalten, die aber im Verborgenen unser Verhalten, unsere Haltung, unsere Weltanschauung, steuern. Wie aufrichtig sind wir zu uns selbst? Wie aufrichtig wollen wir sein? Im Kontext des Arbeitsalltags und gegenüber meinen Vorgesetzten und Kollegen? Wieviel Aufrichtigkeit ist überhaupt erwünscht oder besser, wird in diesem Kontext überhaupt ‚ertragen‘?
Stichwort Kinder und Karriere – Frauen waren während der Pandemie ständig im eigenen Konflikt, a) viele unterschiedliche Rollen unter einen Hut bringen zu müssen und b) auch so, dass es zeitlich passt, um sich letztendlich die Frage zu stellen: Ist es überhaupt (moralisch) möglich zwischen Kindern und Beruf zu priorisieren? Kümmere ich mich um meine Kinder oder um meinen Job? Und, stellen sich diese Fragen eigentlich nur die Frauen? Grenzen wir nicht gleichzeitig die Gruppe DER Männer aus, die sich dem DRAUSSEN stellen mussten und müssen und sich diese Fragen im Homeoffice gar nicht stellen konnten, weil es für sie keins gab?
Stichwort Bürgerliche Kleinfamilie – Patriarchat vs. Matriarchat
Welche Modelle haben wir im Kopf was Familienmodelle angeht? Was glauben wir wie Familie oder Zusammenleben organisiert sein muss? Wie sieht Elternschaft beispielsweise im Matriarchat aus?
Wie sehr irritiert uns die Vorstellung davon, dass die Kinder eben nicht neben Vater UND Mutter heranwachsen, sondern in einer Gemeinschaft, die größtenteils der Familie der Mutter zugeordnet ist? Vater und Mutter als Paar existieren nicht in erster Linie bzw. nicht sinnbildhaft als Grundlage für ein ‚ordentliches Heranwachsen‘ des Nachwuchses. Es geht bei diesem Beispiel nicht um richtig oder falsch, sondern darum, wie sehr uns diese Vorstellung davon triggert oder uns gar negative Emotionen verschafft. Die inneren Bilder und Vorstellungen, die für uns natürlich sind, sind der Maßstab, an dem wir unsere Welt ausrichten. Sollten wir uns nicht eher fragen: „Wie sehr sind wir selbst reflektiert?“ oder „Wie sehr sind uns unsere inneren Bilder, unsere inneren Gleichnisse und Geschichten darüber, wie die Welt zu funktionieren hat, wirklich bewusst? Unsichtbarkeit ist die wirkliche Macht eines bestehenden Paradigmas.
Geschichte wird nie neutral erzählt. Jeder Erzähler bringt seine eigene persönliche Agenda mit auf die Lebensbühne. Wenn wir unserem Kollegen, unserer Kollegin die Schuld an etwas geben wollen, betonen wir in Gesprächen ganz bestimmte Ereignisse und lassen andere weg. Wer recht behalten will, wählt eine Version der Vergangenheit, in der er das Opfer war. Und JA, in der Version der Geschichte des Patriarchats, die uns über die vergangenen 10.000 Jahre erzählt wird, waren Frauen eindeutig die Opfer. Sie wurden unterdrückt, ungerecht behandelt und haben einen großen Preis bezahlt. Männer waren die Täter und haben durch Ausbeutung viele Privilegien an sich gerissen. Diese Geschichte ist wahr und muss gehört werden. Allerdings ist sie unvollständig. Es existiert auch eine zweite Perspektive, in der Frauen Mittäterinnen sind (Lindau, 2021).
Wie kann es z.B. sein, dass männliche Kollegen sich nicht trauen Beratungsgespräche mit Studentinnen bei geschlossener Tür zu führen? Wie kann es sein, dass männliche Kollegen den offenen Austausch mit Frauen fürchten aus Angst davor in eine ganz bestimmte Schublade gesteckt zu werden? Und wie kann es sein, dass junge Männer den Beruf des Erziehers NICHT ergreifen, weil sie der Meinung sind, sie können mit diesem Beruf ihre Familie nicht ernähren. Sind sie denn allein verantwortlich? Diese 10.000 Jahre waren kein Fehler, sondern eine notwendige Evolutionsstufe und eine Kreation von Mann UND Frau. Wenn sich die Menschheit in den letzten 10.000 Jahren in eine Richtung entwickelt hat, die uns allen nicht gutgetan hat und immer noch nicht guttut, dann deshalb, weil es Männer UND Frauen erlaubt haben. Wir haben dieses Modell gemeinsam kreiert und werden es in der Zukunft gemeinsam verbessern. Wenn wir wollen, dass wir uns als Gesellschaft neu erfinden, dann brauchen wir Männer mit am Tisch, allerdings mit ihrer vollen Bereitschaft. Vielleicht werden Männer erst voller Freude und Bereitschaft an diesem Prozess partizipieren, wenn wir aufhören sie zu dämonisieren. Erst wenn These und Antithese in Frieden nebeneinander in unserem Geist existieren können, werden sie eine wirklich neue Synthese hervorbringen.
Die Worte von Xenia Hülsmann boten ein sehr passendes Schlusswort an diesem Tag. Auch sie bemerkt einen gerade stattfindenden Wandel in der Arbeitswelt. Im Umgang miteinander und in der Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren wollen. Und ohne ‚männer-fokussiert‘ oder feministisch klingen zu wollen sieht sie den Tenor auf einem wertschätzenden pro-aktiven Arbeiten, von dem beide Seiten partizipieren. Sie hob mit ihren Worten nochmal die Besonderheit des Barcamp-Formats hervor, als wichtiges Mittel für einen offenen Austausch auf Augenhöhe. Vielen Dank, Xenia Hülsmann für ihre Worte und DANKE an all diejenigen, die sich mutig und offenen Herzens diesen Themen gestellt und mitdiskutiert haben. Auch an dieser Stelle passt dieses Zitat sehr gut (lesen Sie hier mehr).
„Die Hälfte müssen Frauen sein. Wieso ist das eine Unverschämtheit? Es ist eine Selbstverständlichkeit.“ – Rita Süßmuth –
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Herzlichst,
Jessica Theisinger, MINT-Referentin
PS: Die Sache mit den Rosen und dem Rosmarin erfahren Sie in den nächsten Tagen über unsere Socialen Medien
Quellen zum Artikel:
Lindau, V. (2021). Genesis – Die Bereiung der Geschlechter. München: Gräfe und Unzer
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