„Wir werden weiterarbeiten“
Wie eine verglaste Kathedrale inmitten von Feldern und Wiesen ragt das ehemalige Sendezentrum des Radiosenders Europe 1 an der Landstraße zwischen Berus und Ittersdorf empor. Wer hier entlangfährt, kann den Blick kaum abwenden. Auch diesmal hat das Prä-IBA-Werkstattlabor wieder eine besondere Kulisse für eine Veranstaltung gewählt. Passend in vielerlei Hinsicht: Das ehemalige Sendezentrum des Radiosenders Europe 1 ist als ein außergewöhnliches Zeugnis französischer Nachkriegsmoderne unmittelbar an der Grenze zu Frankreich 1955 in Betrieb genommen worden. Das Radioprogramm Europe 1 wurde in ganz Europa empfangen und hat die Menschen so miteinander verbunden. Damit steht das Gebäude für Europa und die deutsch-französische Freundschaft. Der denkbar beste Veranstaltungsort für die Abschlusskonferenz der Prä IBA Großregion.
Unter dem Titel ‚Memorandum IBA Saarraine‘ lud das Prä-IBA-Werkstattlabor unter der Leitung von Stefan Ochs, Architekturprofessor an der htw saar, am 25. November 2022 Hochschulangehörige, Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft, ein Fachpublikum sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger zur Veranstaltung nach Berus ein. Thema war die Vorbereitung einer IBA, einer Internationalen Bauausstellung, in unserer Region.
Neben der Begrüßung durch Überherrns Bürgermeisterin Anne Yliniva-Hoffmann und Wolfgang Förster, Staatssekretär im Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft sowie Expertenvorträgen zum Thema Europa, Land und Architektur, stellte Prof. Stefan Ochs die bisherige Entwicklung nach zweieinhalb Jahren Prä-IBA-Werkstattlabor, den aktuellen Stand und den Mehrwert der Installation einer Internationalen Bauausstellung (IBA) in der Region vor.
„Bei einer Internationalen Bauausstellung geht es um Impulse für die grenzüberschreitende Weiterentwicklung unserer Region“, sagte Staatssekretär Förster bei der Begrüßung. In diesem Kontext nannte der die Stichworte Nachhaltigkeit und Bewältigung des Klimawandels, aber auch Mobilität. Die IBA stellt tatsächlich Fragen wie: Wie kann man die Versorgung der Menschen mit Lebensmittel, Energie und Mobilität nachhaltig sichern? Wo sind die zukünftigen Räume gemeinsamen Lebens und Arbeitens? Wie wollen wir in Zukunft bauen?
Um Nachhaltigkeit und den Umgang mit dem Klimawandel ging es auch im Vortrag von Prof. Dr. Philipp Misselwitz von der Initiative Bauhaus Erde (bauhauserde.org). Ziel der Initiative ist eine Zukunft, in der Gebäude, Städte und Landschaften proaktiv zur Klimasanierung beitragen und einen positiven Einfluss auf den Planeten und seine Bewohner haben. Hierfür nötig sei eine systemische Erneuerung unserer bebauten Umwelt.
Wie unsere Umwelt und Gebäude neu gedacht werden können, dafür lieferte Kerstin Faber, Projektleiterin der IBA Thüringen, Best-Practice-Beispiele. Vor dem Hintergrund des Struktur- und Klimawandels sowie des demografischen Wandels stellte sie vier aktuelle Projekte und Kooperationen der IBA Thüringen vor. Besonders zukunftsweisend ist in diesem Kontext die Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel, die in unmittelbarer Nähe zu einer bedeutenden archäologischen Fundstätte aus der frühen Bronzezeit, dem Leubinger Fürstenhügel, an der Bundesautobahn A71 entstanden ist. Thema der IBA Thüringen ist ‚STADTLAND‘: Sie konzentriert sich auf drei IBA Baustellen, wo Umdenken und Umbauen, Kooperationen und eine Kultur des guten Planens und Bauens in Stadt und Land im Mittelpunkt stehen.
Den regionalen Bezug stellte dann wieder Dr. Dennis Pohl her in seinem Vortrag ‚Europa – Potenziale der Grenze‘. Dabei griff er die Historie des Saarlandes und seine besondere Rolle innerhalb Europas auf. In den geschichtsträchtigen Hallen des Senders Europe 1 ging er auf die Zeit ein, als Saarbrücken beinahe zur EU-Hauptstadt erkoren wurde. „Vor diesem historischen Hintergrund ist eine IBA in der Region umso interessanter“, so Pohl.
„Eine internationale Bauausstellung transformiert und schafft Mehrwert“, fasste Projektleiter Stefan Ochs den Hauptgrund für eine IBA in der Region zusammen. Zuvor hatte er Projektzusammenhänge entlang der Grenze aufgezeigt, das Zeitfenster für eine IBA definiert und die Machbarkeitsstudie vorgestellt. Entwicklungsfortschritte der Prä-IBA sind in kleinen Broschüren zusammengefasst.
„Unter dem Narrativ „Le Jardin / Der Garten“ wünschen wir uns eine grüne IBA“, erklärt Ochs. Die Idee des großregionalen Gartens, der die Menschen in der Großregion erreicht und verbindet, stand schon von Beginn an fest. „Das Säen, das Bewässern, das Gedeihen und das Ernten passt zu einem Transformationsprozess, der mit einer literarischen Idee beginnt, als Plattform die Themen der Zukunft diskutiert und schließlich als Initiator, Ermöglicher und Kooperationspartner in Projekte umsetzt“, ist auf der Projektwebseite nachzulesen.
Dabei sei die Themenfindung aber noch lange nicht abgeschlossen. So werde man unter dem Dach einer weltweit einzigartigen „Klimaregion“ Projekte im Bereich der Landschaft, des Landes, der Stadt, des Bauens, der Energie, der Mobilität, der Nahrungsmittelproduktion, der Gesundheit und der Inwertsetzung von Grenze finden. Mögliche Projekte hat das Team um Stefan Ochs schon ins Auge gefasst, beispielsweise die Raststätte Goldene Bremm, den Simonsschacht in Schöneck und verschiedene weitere Industriebrachen entlang der deutsch-französischen Grenze. Denn das ist auch neu: Aus der ursprünglichen Idee einer IBA für die ganze Großregion ist nun eine „IBA Saarraine“ (Wortschöpfung aus Saarland und Lothringen) geworden.
Hier, so Ochs, wünsche man sich eine intensivere Zusammenarbeit mit Partnern und Entscheidungsträgern auf der anderen Seite der Grenze. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Finanzierung, an der das Team gerade arbeitet: Hier kommen u.a. eine EU-Förderung, grenzüberschreitende Förderprogramme wie Interreg sowie nationale Förderprogramme in Frage.
Dass eine IBA ein Experiment ist und davon lebt, die Dinge nicht einfach so hinzunehmen, sondern neu zu denken, zeigt sich auch in ihren radikalen Forderungen: Transformation in Sachen Klima und Grenze bedeutet auch eine radikale Veränderung der Infrastruktur und eine Zeitenwende im Bauen. Von hundertprozentig regenerative Energiegewinnung und hundertprozentig artgerechter Tierhaltung ist die Rede. Aber vielleicht braucht es eben diese Forderungen, dieses Umdenken, um den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.
Gegen Ende der Veranstaltung hält Prof. Ochs fest: „Wir werden weiterarbeiten“. Die Gründung der eigentlichen IBA soll 2023 vorbereitet werde.
Hintergrund IBA
Eine Internationale Bauausstellung ist ein weltweit bekanntes, anerkanntes und renommiertes Prozessvorhaben, das sich der Transformation von Raum und Gesellschaft unter der Berücksichtigung von Architektur, dem Städtebau, der Landschafts- und der Regionalplanung widmet. Eine IBA fordert einen temporär geschützten Raum, innerhalb dessen die relevanten Themen und die dazu passenden Projekte entwickelt werden. Eine IBA ist ein Experiment, das in einem Feldlabor seine eigenen Versuchsanordnungen finden muss und dessen Ausgang offen ist. Sie ist identitätsstiftend und imagebildend, da sie durch ihr Label eine exzellente Sichtbarkeit in der Außendarstellung besitzt. Die Themen einer IBA haben sich in ihrer 120-jährigen Geschichte immer weiterentwickelt. Anfangs wirkte sie architektonisch und objektorientiert, wurde aber im Zuge des gesellschaftlichen und strukturellen Wandels zunehmend landschafts- und regionalbezogen. Heute verstehen sich die aktuellen IBA grenz- und themenübergreifend als regionale Zukunftsmotoren einer nachhaltigen Entwicklung.
0 Kommentare in “„Wir werden weiterarbeiten“”