„Bye Bye Psychoangst“
Vor rund zwei Jahren knackte Leon Windscheid als elfter Kandidat die Millionenfrage bei der Quizshow „Wer wird Millionär“. Seitdem hat sich in seinem Leben einiges getan. Mit einem Teil des Hauptgewinns kaufte er ein Boot, das als erfolgreiches Event- und Partyschiff auf dem Dortmund-Ems-Kanal schippert – erst letzte Woche stellte seine Firma ihren vierzehnten festen Mitarbeiter ein. Windscheid ist aber nicht nur Jungunternehmer, sondern auch Psychologe und Wissenschaftler. Seit vielen Jahren interessiert er sich für die Irrungen und Wirrungen in unseren Köpfen. Vergangenes Jahr erschien sein erstes Buch „Das Geheimnis der Psyche“, das es auf die SPIEGEL Bestsellerliste schaffte. Mittlerweile hält der 29-Jährige regelmäßig Vorträge, in denen er in bunten Geschichten von den wunderbaren Kräften der Psyche erzählt und dabei eine Verbindung von Wissenschaft und Alltag herstellt.
Am 24. Januar 2018 war Windscheid mit seinem Vortrag „Bye Bye Psychoangst“ im Rahmen der Neujahrsvorlesung 2018 zu Gast an der htw saar. Das hochschulübergreifende Format von studium plus stellt wissenschaftliche Themen auf anschauliche, unterhaltsame Art und Weise vor und möchte so Vorurteile über trockene, langweilige und lebensferne Forschung ausräumen. Die Neujahrsvorlesung fand schon zum fünften Mal statt und lockte rund 150 Besucher an den Campus Alt-Saarbrücken.
Wussten Sie, dass jedes Jahr etwa 33 % der Deutschen die Kriterien für psychische Krankheiten erfüllen? Dennoch begegnen die meisten Menschen Psychologen mit Skepsis. Für viele ist das, was in unseren Köpfen passiert, schlichtweg ein Tabu. Dagegen möchte Windscheid etwas tun. In seinem Vortrag machte er faszinierende Phänomene der Psychologie erlebbar, bezog dabei immer wieder sein Publikum ein und ging vielfältigen Fragen nach, die uns immer wieder beschäftigen: Wieso halten wir Menschen uns für besonders intelligent? Wie umgeht man Aufschieberitis? Wie überlisten wir uns, notwendige, aber unangenehme Dinge rechtzeitig zu erledigen?
Vor seinem Vortrag stand uns Leon Windscheid für ein Interview zur Verfügung und gibt darin Studierenden unter anderem Tipps, wie sie sich auf Prüfungen vorbereiten können.
Herr Windscheid, bei ihrem ersten Vortrag im Studium haben Sie gestottert und geschwitzt. Wie man unter Druck die Nerven behält, haben Sie aber im Laufe Ihres Psychologiestudiums gelernt. Wie kann man denn seine Angst oder den Stress in den Griff bekommen?
Was man sich vor Augen führen muss: Es gibt unterschiedliche Arten von Angst und Angst ist nicht pauschal schlecht. Ich unterscheide gute von schlechter Angst. Es gibt gute Angst, die uns vor Gefahren schützt. Schlechte Angst ist Angst vor Dingen, die keine wirkliche Gefahr darstellen, oder Angst, die mich vor echter Gefahr nicht schützen kann. Ein Beispiel ist Terror: Du kannst Angst vor Terror haben, aber die wird dich nicht vor Terror schützen. Du kannst Angst vor Vorträgen vor großen Gruppen haben, aber die Angst wird dich da nicht schützen, weil keine Gefahr besteht. Wenn man die schlechte Angst loswerden möchte, hilft eigentlich nur, sich seiner Angst zu stellen.
Haben Sie Tipps, wie sich Studierende gut auf Prüfungen vorbereiten können?
Was du in der Prüfung abliefern musst, unterscheidet sich essentiell von dem, was du in der Lernsituation tust. Nämlich: Du musst plötzlich unter Druck Antworten auf Fragen abrufen, die du vorher vielleicht gar nicht auf dem Radar hattest. Versuche deswegen, wenn du Inhalte in deinen Kopf kriegen möchtest, dich so oft wie möglich in die Prüfungssituation oder eine prüfungsähnliche Situation zu versetzen. Frag dich am Ende des Lerntages knallhart ab: „Kann ich das wirklich, ohne in mein Skript zu gucken?“. Und was tatsächlich hilft, ist, wenn man sich in den Kontext der Prüfungssituation reinversetzt – wenn man z.B. in dem Raum lernt, in dem später die Prüfung stattfindet. Das ist nicht immer möglich, aber vielleicht schafft man ein ähnlich neutrales Umfeld und kann zumindest schon mal an einem ganz cleanen Tisch lernen, an dem z.B. nicht parallel Musik läuft.
Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihrer Studienzeit mit?
Rückblickend habe ich mich oft schwer getan mit dem Auswendiglernen von größeren Prüfungsgebieten. Mittlerweile habe ich da einen ganz anderen Blick drauf, weil ich merke, dass nach dem Studium gar nicht mehr zählt, dass du irgendwas auswendig gelernt hast, sondern was du verstanden hast. Du kannst dich beim Lernen also immer darauf einstellen, dass, wenn du es nicht verstanden hast, es unfassbar mehr Arbeit wird, das Wissen nachher abzurufen. Du kannst es dann nur über „Bulimie-Lernen“ in deinen Kopf prügeln. Aber Verstehen würde eine enorme Effizienzsteigerung darstellen. Vor allem im Statistikbereich bei mir im Psychologiestudium habe ich gemerkt, dass es an vielen Stellen besser gewesen wäre, wenn ich mich früher mit dem Verstehen auseinandergesetzt hätte.
Sie wirken so gelassen – sind Sie es wirklich?
Jetzt gerade merke ich wieder ein klassisches Phänomen, das ich bei mir festgestellt habe: Mir wird warm. Ich hatte ursprünglich geplant, mit einem Zug ganz kurz vor Start der Neujahrsvorlesung zu kommen. Die Kollegin sagte mir aber, das sei zu knapp. Ich bin jetzt schon dankbar dafür, denn ich merke immer wieder, dass es total gut ist, wenn du dich akklimatisierst: Beim dritten Mal bei Jauch auf dem Stuhl fühlte es sich völlig anders an als beim ersten Mal; beim zehnten Mal Vortrag fühlt es sich anders an als beim ersten. Aber diese Coolness ist, zumindest ist das meine Erfahrung bisher, nach außen cooler als sie sich innen anfühlt. Also ich bin jetzt aufgeregt.
Jeder erlebt mal Rückschläge – wie gehen Sie damit um?
Ich merke, dass mir das schwer fällt. Ich hätte gedacht, wenn‘s doch eigentlich grundsätzlich läuft, dann nimm doch mal die Rückschläge lockerer. Das gelingt mir irgendwie nicht wirklich. Was mir persönlich das viele Geld, das ich gewonnen habe, zeigt, ist: Man muss sich darauf einstellen, das man einen gewissen Pegel hat. Beispiel: Den Eichstrich bei einem Pilsglas kannst du im Prinzip nicht wirklich verändern, sondern nur wieviel du einschüttest. Und so ist das bei uns Menschen auch – du wirst Kapriolen haben, wo du dich mal extrem happy fühlst und dann wirst du dich bei einem Misserfolg wieder total unglücklich fühlen. Aber stell dich darauf ein, nach kürzester Zeit bist du wieder beim Eichstrich und insofern versuche ich, das dann gelassen anzugehen. Glückt nicht immer.
Bei „Wer wird Millionär“ haben Sie 2015 die 1-Million-Euro-Frage geknackt – war dieser Auftritt der schwerste in Ihrem Leben?
Ganz entschieden nein. Die Millionen-Frage hat eine halbe Stunde gedauert. Ich habe ungefähr eineinhalb bis zwei Jahre an meiner Doktorarbeit geschrieben, das war viel kniffliger. Wenn du dich fragst, wieviel Anteil bei Jauch ist Glück, dann setzt sich das Rezept meiner Meinung zusammen aus: 20 % muss er dich mögen, 20 % Allgemeinbildung und der große Rest ist Glück. Und das hat nichts mit knifflig zu tun.
An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Im Herbst möchte ich mit meinem Vortrag auf eine Art Tour gehe und dann kommt hoffentlich noch einmal ein Buch. Vielleicht wird es für mich wieder mehr in den Bereich Forschung/Wissenschaft, vielleicht aber auch eher Lehre gehen – das würde mich reizen. Man darf aber nicht vergessen, dass auch noch ein Unternehmen zu führen ist. Das macht mir große Freude, lässt mir aber oft zu wenig Raum für Psychologie.
Herr Windscheid, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!
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