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Eine Kämpferin, die mit viel Mut ihren eigenen Weg geht

Die htw saar lässt sich derzeit im Rahmen eines Audits in Sachen Diversity auf Herz und Nieren prüfen. Daraus entstanden ist das Label „Faktor Vielfalt“, unter dem zukünftig Maßnahmen und Aktionen zu finden sind. Die erste öffentlichkeitswirksame Maßnahme ist eine Aufsteller-Aktion an den Standorten der Hochschule. Dazu wurden an der Hochschule 13 Interviews durchgeführt, denn Vielfalt zeigt sich in den unterschiedlichen Studien-, Bildungs- und Berufswegen sowie Lebensläufen der Studierenden und Beschäftigten der htw saar. Diese Vielfalt beeinflusst und bereichert unseren (Hochschul-)Alltag. Überzeugen Sie sich in unserer neuen Reihe von unserem Faktor Vielfalt!

Diesen Monat stellen wir Ihnen Scarlett Lauer vor:

Den Realschulabschluss mit 1,4 gemacht, als Klassenbeste; dann der Wechsel aufs Gymnasium; ehrenamtlich tätig als Freizeitassistentin bei Miteinander Leben Lernen; Studentin der Sozialen Arbeit und Pädagogik der Kindheit. Ein scheinbar gerader Weg. Was ist daran denn nun so besonders? Es ist ein Lebensweg, der auch ganz anders hätte verlaufen können. Es ist der Lebensweg von Scarlett Lauer, dem Heimkind.

Aber von vorne:

Häufiges Umziehen, das ist etwas, das Scarlett Lauer von klein auf kennt. Nach der Scheidung vom Stiefvater wächst sie zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester alleine bei der Mutter auf. Die Mutter erkrankt schwer: Über viele Jahre hatten sie daher eine Familienbeistandschaft zur Unterstützung. Doch die Erkrankung der Mutter erforderte eine längere stationäre Behandlung. Leider nicht ohne Folgen für die Kinder: Die Schwester kommt in eine Pflegefamilie, der Bruder und sie kommen in ein Kinderheim. Drei Monate später konnten die Kinder dann wieder nach Hause. Aber zuhause wurde es – trotz Familienbeistandschaft – immer schwieriger, mehrere Umzüge folgten. „Ich bin dann einfach nicht in die Schule gegangen. Weil ich keine Lust hatte oder – es klingt jetzt blöd, aber – weil ich nichts zum Anziehen hatte“. Das war der Punkt, an dem die damals 15-jährige beschloss: „Das geht so für mich nicht weiter, ich kann so nicht mein Leben leben.“ Durch eine Freundin erfuhr sie von der Möglichkeit des Betreuten Wohnens. Dafür war sie mit ihren 15 Jahren zu jung, ließ sich davon aber nicht abhalten. Für Scarlett Lauer war klar: „Ich will nicht mehr daheim wohnen.“ Mit der Familienbeistandschaft einigte sie sich darauf, dass sie in eine Wohngruppe ziehen kann. Zwei Wochen später war es soweit. Ein Umzug, den Scarlett Lauer bis heute nicht bereut: „Das war wirklich mit die beste Entscheidung meines Lebens“, denn sie ist sich sicher „wenn ich das nicht gemacht hätte, hätte ich heute weder Abi noch könnte ich studieren.“

Wie war es für sie in einer Wohngruppe zu wohnen? „Es war eine große Umstellung für mich; die ganzen Lebensumstände. Dort war alles viel geordneter und geregelter als zu Hause. Jeden Tag musste man mindestens eine Stunde was für die Schule machen.“ So gelang es ihr, von ihrem schlechtesten Zeugnis mit einer 2,8 in der achten Klasse, den Realschulabschluss als Klassenbeste zu machen und in die Oberstufe des Gymnasiums zu wechseln. „Das war einfach großartig“, so Lauer. Während der ganzen Zeit hatte sie viel Unterstützung erfahren. Auch, als ihr ein weiterer Schicksalsschlag widerfuhr: Ihr Bruder starb. Durch die Unterstützung innerhalb der Wohngruppe und eine psychologische Betreuung konnte sie sich weiterhin auf die Schule konzentrieren. Mit 17 ½ folgte dann ein weiterer Umzug: Es ging – im Rahmen des Betreuten Wohnens – in ihre erste eigene Wohnung. Kurz danach schloss sie das Abitur erfolgreich ab.

Wie kam sie auf die Idee Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit zu studieren? Eigentlich wollte sie Biologie und Chemie studieren, allerdings lag hier der Numerus Clausus bei 1,2. Ein Lehramts-Studium für die Grundschule zog sie in Betracht; evtl. in der Realschule unterrichten zu müssen, schreckte sie jedoch davon ab. Sie entschied sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr, schloss die ehrenamtliche Tätigkeit als Freizeitassistentin mit Menschen mit Behinderungen an und informierte sich weiter über verschiedene Studiengänge. Die Wahl fiel dann auf Soziale Arbeit und Pädagogik der Kindheit. „Vor allem habe ich in meinem Leben schon super viele Erfahrungen mit sozialer Arbeit gehabt, als Empfänger quasi. Ich fand und finde es auch immer noch super spannend, das von der anderen Seite zu sehen, was zurückzugeben. Deswegen habe ich mich für diesen Studiengang entschieden. Das motoviert mich immer noch.“ Als erste ihrer Familie beginnt Scarlett Lauer im Wintersemester 2015/16 ihr Studium. Ihre Familie ist sehr stolz. „Ich glaube meine Mama freut sich besonders, weil sie eigentlich auch studieren wollte.“ Und auch ihr Vater, der mittlerweile in Venezuela wohnt und zu dem sie ein gutes Verhältnis hat, freut sich ebenfalls sehr und unterstützt sie wo er kann.

Auch wenn sie sich in manchen Situationen innerhalb ihres Studiums aufgrund ihres Lebensweges gut in andere hineinversetzen kann, so weiß sie ebenso, dass sie in manchen Bereichen wahrscheinlich nicht arbeiten kann, „einfach, weil ich vorbelastet bin“. Ist es das, was ihr Sorgen bereitet? Nein, „das größte Problem ist der finanzielle Aspekt“. So können fehlende 200 Euro eine Reihe weiterer Probleme nach sich ziehen, gerade dann, wenn diese für die Immatrikulationsbescheinigung fehlen, diese aber wiederrum für den rechtzeitig einzureichenden Bafög-Antrag notwendig ist. „Das nimmt manchmal ganz schön die Motivation raus. Es ist schon schwierig, dass ich mir nebenbei immer noch so viele Sorgen darum machen muss, ob ich es mir überhaupt leisten kann weiter zu studieren. Glücklicherweise wohne ich mit meinen Partner zusammen. Ich glaube, wenn das nicht wäre, wüsste ich nicht, ob ich aktuell noch weiter studieren könnte.“ Doch für das kommende halbe Jahr gibt es einen Lichtblick: „Glücklicherweise habe ich die Zusage für ein Saarlandstipendium erhalten. Neben der ideellen Förderung stellt dies auch eine finanzielle Entlastung für mich dar.“

Was würde sie anderen, die ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben, raten? „Es ist ganz wichtig, dass man Unterstützung annimmt, also nicht aus falschem Stolz sagen >ich brauche keine Hilfe<. Wenn man etwas wirklich will, wenn einem ein Studium wirklich interessiert, soll man sich nicht kleiner machen als man ist und denken >ich schaffe das sowieso nicht< sondern auf jeden Fall ausprobieren. Man darf sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten. Unterstützung ist, glaube ich, das A und O.“

Was ist für sie Vielfalt? „Unter Vielfalt verstehe ich die verschiedenen Biografien bzw. Lebensverläufe, die hinter jedem einzelnen stehen und die immer individuell sind. Hierin sehe ich eine große Bereicherung, da es immer wieder spannendes über die Menschen zu entdecken gibt, sich durch die verschiedenen Hintergründe immer neue Perspektiven eröffnen und damit ein großes Meinungs- und Erfahrungsspektrum vertreten ist, aus dem man immer wieder etwas neues lernen kann.“

Das ist – in wenigen Zeilen zusammengefasst – der Lebensweg von Scarlett Lauer. Ein Lebensweg, der die Herausforderungen einer Familie zeigt, der zeigt, dass sich verschiedene Wege auftun, die man mit der Unterstützung anderer gemeinsam gehen kann. Ein Lebensweg, der anderen Mut machen und bei Kommilitonen und Dozierenden auch ein bisschen für Verständnis sorgen soll. Dafür, dass jede*r einen anderen Lebensweg hat, der einen prägt und über das Studium hinweg begleitet. Der Lebensweg von Scarlett Lauer, der Kämpferin, die mit viel Mut, Verstand und Herz ihren eigenen Weg geht.

 

 

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