Wo der Mensch im Fokus steht
Virtuelle Krankenbesuche, Künstliche Intelligenz im Operationssaal und Abhilfe bei Reisekrankheit in selbstfahrenden Fahrzeugen – was nach Zukunftsmusik klingt, soll bald in die Realität umgesetzt werden. Daran arbeiten derzeit die Forschenden am Center for Digital Neurotechnologies Saar (CDNS) in Homburg. An dem Anfang des Jahres gegründeten Zentrum in Kooperation zwischen der htw saar, der Universität des Saarlandes und dem Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) kommen Neurowissenschaften, Informatik und Saarwirtschaft zusammen, um Menschen mit Hilfe neuester Technologien zu helfen.
Von diesen menschzentrierten Technologien ist auch die Rede, als das CDNS am 14. Oktober 2022 seine drei neuen Forschungsprojekte vorstellt. Die interdisziplinären Projekte werden mit rund fünf Millionen Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Saarindustrie, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung sowie das Land gefördert. Auch Jürgen Barke, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie, machte sich an diesem Tag ein Bild von dem Zentrum.
„Sie werden heute hier im Zentrum für Digitale Neurotechnologien Saar sehen, wie die verschiedenen Bereiche – Informatik, Ingenieurwissenschaften und die Medizin – zusammenkommen, um uns, den Menschen, zu helfen, um den Patienten zu helfen“, begrüßte Prof. Dr. Dr. Daniel Strauss, Neurowissenschaftler und Leiter des CDNS, Minister Barke und die Gäste. Bei den Projekten habe man auch die Saarwirtschaft mit ins Boot geholt. Vor allem die interdisziplinäre Vernetzung sei ein wichtiger Motor für den Erfolg der Projekte. So arbeiten am Center for Digital Neurotechnologies Saar Forschende der der htw saar, der Universität des Saarlandes, der Universitätsklinik Homburg und des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) Hand in Hand zusammen.
Aber wo setzt das CDNS eigentlich an? „Wir wollen menschzentrierte digitale Technologien, also alles vom Smartphone bis hin zum selbstfahrenden Auto, durch neurotechnologische, neurowissenschaftliche Forschung voranbringen. Und zwar in den Anwendungsfeldern Biomedizin, Mensch-Maschine-Interaktion und sensorische Immersion“, so Strauss.
„Was mich besonders begeistert, ist die kontinuierliche wissenschaftliche Entwicklungsfähigkeit“, sagte Prof. Dr.-Ing. Dieter Leonhard, Präsident der htw saar. „Ich glaube, dass das Thema digitale Neurotechnologien ein Megathema für uns ist: Wir sind eine alternde Gesellschaft, wir werden kooperative Robotersystem und Unterstützungsassistenzsysteme brauchen – das klingt immer so bedrohlich, deshalb freue ich mich über diese Botschaft: Medizin hilft – das muss man niemandem erklären. Deshalb bin ich als Ingenieur froh, dass wir diese Botschaft senden können: Technik hilft den Menschen“, so Leonhard.
Dass eben Technik hilft, lässt sich unschwer am Projekt „Multi-Immerse“ erkennen. Als ein „extrem wichtiges Projekt für die Kinderheilkunde“ vorgestellt, soll es schwer erkrankten Kindern und Jugendlichen im Universitätsklinikum des Saarlandes virtuelle Besuche von Angehörigen ermöglichen. Dabei geht es nicht um reine Videogespräche, sondern um eine möglichst realitätsnahe Abbildung eines Besuchs am Krankenbett. Die Patienten sollen über neue Technologien ihre Eltern und Geschwister sehen, hören und fühlen können. Dies gelingt durch sogenannte immersive Technologien, mit denen beide Personengruppe in eine virtuelle Welt eintauchen und räumlich getrennt dennoch intensive Nähe spüren können. An diesem Projekt wirken Forscherinnen und Forscher der Medizin und Informatik der Universität des Saarlandes, des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie des ZeMA mit.
Auch bei dem zweiten Projekt „Digital Scrubs“ werden Medizin und Informatik eng miteinander verknüpft, zudem kommen mehrere Firmen aus dem Saarland und Berlin ins Spiel. Schauplatz des Forschungsprojekts ist der mit viel Hightech ausgestattete Operationssaal, der den Operationsteams viel Aufmerksamkeit abverlangt. Auch hier sollen neue Technologien dabei helfen, dass alle Sinne der beteiligten Personen angesprochen werden und sie über Sprache, Gestensteuerung und haptisches Feedback, also etwa Sensoren in der Kleidung, untereinander und mit den Instrumenten im OP-Saal kommunizieren können. Dabei soll auch Künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um individuell auf die kognitive und emotionale Verfassung des Ärzteteams, etwa die jeweilige Aufmerksamkeitsspanne, einzugehen. Hierbei wirken neben Medizinprofessoren der Universität und htw saar Professorin Dr. Martina Lehser am ZeMA, die St. Ingberter Firma abat+ GmbH, die Paragon Semvox GmbH in Kirkel sowie das nexus Institut für Kooperationsmanagement GmbH in Berlin mit.
Das dritte Projekt namens „Kinesymbiosis“ widmet sich einer Thematik, die schon länger im Saarland durch das Projektteam erforscht wird, für die aber weiterhin nach praktikableren Lösungen gesucht wird. Es geht dabei um das Automobil, das durch die zunehmende Automatisierung nicht mehr nur Transportmittel ist, sondern stark vernetzter Arbeits- und Lebensraum geworden ist. Viele Nutzer haben jedoch das Problem, dass ihnen übel wird, wenn sie beim Autofahren am Bildschirm arbeiten, Videos anschauen oder sich entgegen der Fahrtrichtung mit den Mitfahrern unterhalten wollen. Diese Kinetose oder Reisekrankheit werden dadurch verursacht, dass die visuellen Informationen nicht mit den erlebten Bewegungen des Fahrzeugs übereinstimmen.
Ein internationales Forscherteam aus Neurotechnologen, Informatikern, Psychologen und Ärzten sowie Fahrzeug- und Mobilitätsforschern untersucht bereits seit zwei Jahren, wie diese Reaktionen des Nervensystems messtechnisch erfasst werden können. Bisher war dies nur durch den direkten Kontakt mit der menschlichen Haut möglich. Die Forscher wollen nun versuchen, dies über berührungslose Sensorik abzudecken. An dem Projekt beteiligt sind neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der htw saar und der Universität die Unternehmen ZF AG, Paragon SemVox GmbH sowie Traffic Technology Services Europe GmbH.
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